29 März, 2009

Hamburg

Allein war Hamburg ein ganz bisschen besser. Sie ging zum Strand, grub ein Loch, so groß wie ein Grab und legte sich hinein. Kurz machte sie sich Gedanken über Handy-Empfang: würde sie seine Gedanken auch hier empfangen. Ihre Haut, winterlich blass, wurde lebloser, heller. Sie roch mediterrane Kräuter, Sonnenstrahlen, ein salziges Meer, das mit weichen Wellen an ihren Füßen leckte und ein sanft vergorenes Aroma von totem Mensch. Eine Nachricht von ihm. Er beschrieb ein Zusammentreffen mit einem krebskranken Jungen, fragte, wie man damit umgehen könne. Die Frage war rhetorisch und er bestimmt erfahrener im Umgang mit todkranken Kindern. Sie nahm eine Hand aus dem Grundwasser, stellte fest, dass ihre Haut in Fetzen herunterhing und antwortete in schönster Ruhe. Ihr Herz war so weich an diesen Tagen.

Allein war Hamburg ein ferner Planet. Sie stapfte durch Sternenstaub, klatschte in die Hände, um die interstellare Ordnung durcheinander zu bringen. Die weißen Haarsträhnen im Wind wehend, waren ihre Gedanken bei ihm, fern unter ihr, Galaxien entfernt. Eine Supernova lenkte sie kurz ab, blitzartig dachte sie darüber nach, dass Cheshirecat ja schon der Name eines Sterns war. Sonst hätte sie diesen just neugeborenen Ort wohl so benannt. Durfte sie das überhaupt? Sterne benennen? Wer benennt die Sterne? Ihre Entdecker? Und, wenn sie jetzt am allernächsten an der Nova dran war, war sie dann die Entdeckerin? Eine Nachricht von ihm über das Satellitentelefon: er beschrieb ein Zusammentreffen mit einem krebskranken Jungen, fragte, wie man damit umgehen könne. Die Frage war rhetorisch und er bestimmt erfahrener im Umgang mit todkranken Kindern als sie, die Himmelswanderin. Sie streckte ihre metallen behandschuhten Finger aus und tippte die mathematische Formel zur Heilung von Krebs in den riesigen Hörer, den sie sich mit einem Kabel um die Hüfte gebunden hatte. Ihr Herz war so weich an diesen Tagen.

Allein war Hamburg genau der höllische Moloch, den sie erwartet hatte. Während sie durch die Straßen taumelte, wurde ihr immer heißer. Ihr Rücken fing an zu schmerzen. Ein innerlicher Druck ließ sie aufstöhnen und sie merkte, dass die Luft, die aus ihren geblähten Nasenflügeln strich, nach Schwefel roch. Der Druck auf ihrem Steißbein erhöhte sich und ihre Schläfen pochten wie wahnsinnig. Migräne oder was, dachte sie und wurde wütend. Irgendwas machte ihr in ihren Winterstiefeln zu schaffen, es schien, als ob sie sich riesige Blasen an den Füßen gelaufen hatte. Eine Nachricht von ihm. Er beschrieb ein Zusammentreffen mit einem krebskranken Jungen, fragte, wie man damit umgehen könne. Die Frage war rhetorisch und er bestimmt erfahrener im Umgang mit todkranken Kindern als sie. Während sie auf „Antworten“ ging, stellte sie fest, dass schwarze Haare auf ihrem Handrücken wuchsen. Zerstreut dachte sie: „Muss an der Stadt liegen.“ Und antwortete ihm. Ihr Herz war so weich an diesen Tagen.
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14 März, 2009