22 Oktober, 2013

GR-20 - Teil 6 - Vizzavona nach Capannelle

Ich habe das Glück, immer dann zu verreisen, wenn andere damit schon fertig sind. Ich fahre nie zur Hochsaison in den Urlaub. Mir gefallen Menschenmengen selbst bei Konzerten nur mäßig. Mir gefallen Menschenmengen auf Wanderwegen überhaupt nicht. Es stellt sich einfach keine Klarheit ein, wenn der Weg voll ist von Meinungen und menschlichem Geräusch.

Schatz, wir müssen nicht reden
Nachdem ich mich von Gustav auf dem Nordteil des GR-20 getrennt habe und mit dem Zug nach Vizzavona gefahren bin, übernachte ich dort im Refuge. Das, weil bewirtet, Geld kostet. 19 Euro für eine Übernachtung, die ich ungern ausgebe. Netter Wirt (der mir erlaubt, ein paar Sachen da zu lassen), lauwarme Dusche, warmes Zimmer und ich esse im sterilen Essenssaal, weil es keine Möglichkeit gibt, mein mitgebrachtes Essen zu kochen. Highlight des Abends: ein Bier! Ein kaltes Bier! Interessant: nur ein paar Tage fern der Zivilisation und schon vertrage ich nix mehr. Um zehn gehe ich völlig angeschickert in die Heia.

Refuge de Vizzavona - wer schnell wandert, wandert einfach vorbei
Am nächsten Morgen breche ich auf in Richtung Refuge de Capannelle, eine einfache Strecke, die trotzdem hammerschön ist. Ich sehe die Sonne auf den Berggipfeln am Morgen und grüße sie freundschaftlich (ja, wenn man alleine wandert, spricht man auch schonmal mit einem Berg).

Good morning sun, I am a bird, wearing a brown polyester shirt...
Ich lächle, weil ich einen Weg entlang laufe, der aussieht wie ein Weg. Ein Waldweg, der auch im Harz sein könnte. Fast bin ich schon gelangweilt davon, dass nichts mich zum Klettern, Springen, Abstützen, Hochziehen oder zumindest Drübersteigen auffordert, als es vom befestigten Weg in den Wald geht.

Herrlich! Wurzeln zum Stolpern! Tannennadeln zum Riechen! Mehr Morgensonne, die mich bezaubert.

Ich bin fit, merke ich. Die Strapazen der letzten Tage haben aus mir eine belastbarere Person gemacht. Ich fühle keinen Muskelschmerz, sondern Stärke in Armen und Beinen. Meine Schulter hat aufgehört, weh zu tun. Mein Osteopath wäre stolz auf mich. Der Morgen macht alles wett, was die Tour im Norden an Angst und Beklemmungen mit sich brachte.

Auf dem Weg nach Lothlórien
Tag 6 des GR-20 ist ein magischer Tag. Ich laufe durch einen Birkenwald, in dem Elfenvolk lebt, passiere versteinerte Orks und gerate in lautstarke Bewunderung, als ich die Hobbitbehausungen bei den Bergeries d'Alzeta sehe. Ich glaube, meine exakten Worte sind: "Alter. Das kann ja nicht wirklich wahr sein!"

The Shire. Ach nee, die Bergeries d'Alzeta.
Ein einäugiger steinerner Wächter
Die Aussicht des steinernen Wächters
Bocca Palmentu, über den Wolken
The Martians have landed!
Gipfelblick = Meerblick
Der Tagesgipfel auf dieser Strecke ist die Bocca Palmentu mit 1.640 Meter Höhe. Und weil ich meinen Bruder vermisse und er die Snackbeutel so schön gepackt hat, mache ich Pause auf der windgepeitschten, außerirdisch anmutenden Berglandschaft auf dem Gipfel. Und schamlos Schleichwerbung für REWE.


Die gesamte Strecke, obwohl sehr gut zu laufen, sind 15 km, 890 Höhenmeter hoch und 224 wieder runter. Nach dem windigen Gipfelpass, der einen schön durchgeschüttelt hat, geht es am Rande des Berges in der warmen Sonne über wunderschöne Bäche bis zum Refuge de Capannelle.

GR-20, seit 6 Millionen Jahren (theoretisch) begehbar
Le petit refuge de Capannelle
Kleine Notiz am Ende: das Refuge ist schwer zu finden. Die Beschilderung endet am Riesenkomplex der Gite U Fugone. Die Gites auf dem GR-20 sind Ausweichmöglichkeiten für Wanderer, wenn die Refuges voll sind. U Fugone erinnert mich an ein verlassenes Berghütten-Disneyland. Ein Riesenkomplex mit Skilift und Vergehen an der Natur. Wie beim Lac de Muvrella fühlt man noch die Flut der Sommerwanderer in der verwahrlosten Umgebung. Die eigentliche Hütte ist miniklein, hat nur Platz für 12 Schläfer und befindet sich hier:
Weiße Pfeile: Wanderrichtung GR-20. Grüne Pfeile: Weg zum Refuge de Capannelle
Fazit Tag 6:
1) If (Anforderung des Weges == physische Stärke) { Glück = ja }
2) Wenn man denkt, es geht nicht schöner, pustet einem die Natur diese Flausen einfach so aus dem Kopf
3) Steinmänner, Elfenwälder, Sonnenspiele, Wasserglitzern und Gipfelwind. Mehr Fazit braucht es nicht.

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