14 März, 2011

Japan

In meiner Funktion als denkender Mensch muss ich sagen, es ist ungut, wie es ist.

Mir tut Japan in der Seele weh, es tut mir weh, zu sehen, wie die Menschen dort verstrahlt werden, wie sie sterben und wie sie gestorben sind. Ich finde, ich sehe zu wenig tote Menschen in den Nachrichten für die ungeheuer vielen toten Menschen, die es dort gerade gibt. Ich sehe eine höfliche Berichterstattung, eine japanische Berichterstattung, die mir sehr nett gegenüber tritt. "There is no looting", schreibt der Telegraph. In Japan plündert man halt nicht. Nicht so wie in Haiti. In Japan ist man zuvorkommend und sozial.

Das Land zerstört, die Atomkraftwerke schmelzen, die Menschen sterben und vielleicht bricht bald auch noch einmal der Vulkan aus? Das macht doch nichts!"At the risk of raising further public concern, we cannot rule out the possibility of an explosion," Edano said. "If there is an explosion, however, there would be no significant impact on human health." Erstaunlich. Immer schon seit Tschernobyl, der grünen Wolke und Raymond Briggs "Strahlenden Zeiten" dachte ich, wenn es eine nukleare Explosion gibt, sterben die Menschen. Erst werden sie sehr krank, dann sterben sie. Oder sehe ich das falsch.

In den letzten zwei Tagen erreichen uns so viele Nachrichten aus dem Kernkraftwerk Fukushima. Ich lese, dass Meereswasser in schmelzende Reaktoren gepumpt wird, um eine Katastrophe abzuwenden. In meinem Kopf verschwindet diese Passivform. Ich sehe: Menschen, die Wasser in Reaktoren pumpen. Menschen, die rennen. Menschen, die schon längst und für ihr ganzes Leben radioaktiv verseucht sind. Die, wenn diese schon längst stattfindende Katastrophe vorbei ist, entweder tot sind oder sterben werden. Ich sehe Katastrophenfilmszenarien, die völlig real sind.

Es ist eine Zeit, in der die Kanzlerin zeitweilig und scheinbar erstmalig einen Schritt zurück macht in der Atompolitik. Merkel schaltet die alten Meiler aus. Es ist eine Zeit, in der Menschen auf Facebook Anti-Atomkraft-Buttons in ihre Profilbilder tun. Wohlgemerkt, die Buttons aus den 80ern. Die alten Tschernobylbuttons. Es ist tatsächlich eine Zeit, in der es sich lohnt, politisch zu werden. Oder zu sein. Etwas bewegt sich.

Aber bewegt es sich an der richtigen Stelle? Schreibe ich hier an der richtigen Stelle? NEIN. Sind Facebookbuttons eine Lösung? Nein! Die Buttons sind ja GUT! Aber sie sind schon seit 30 Jahren auf der Bildfläche und es bedurfte eines absoluten, nuklearen, sozialen und ungeheuer entsetzlichen SuperGAUs, damit olle Merkel ihren dicken Arsch mal bewegt. In einer INDUSTRIEnation, wohlgemerkt. Denn in einem ENTWICKLUNGSland wäre alles ganz anders gewesen.

Ich glaube nicht an Gott. Ich kann nicht für Japan beten. Ich kann auch nicht hinfahren und Leichensäcke mitbringen. Ich weiß nicht, wie ich helfen kann. Ich weiß auch nicht, wohin mit meiner Hilflosigkeit. Häufig denke ich, ich hätte doch Ärztin werden sollen. Dann müsste ich hier nicht dumm rumlabern, sondern könnte nach Japan, Menschenleben retten.
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